Die Menschheit führt einen sinnlosen und selbstmörderischen Krieg gegen die Natur, der menschliches Leid und enorme wirtschaftliche Verluste verursacht und gleichzeitig die Zerstörung des Lebens auf der Erde beschleunigt. Mit dieser Botschaft eröffnete der UN-Generalsekretär António Guterres im Februar diesen Jahres die Präsentation des ersten UN Enviornmental Program Berichts mit dem Titel: „Making Peace with Nature“.
Seit der Entstehung des Menschheit profitierte sie von der zunächst unerschöpflich erscheinenden Schatzkammer der Natur. Jedoch ist die relative Einseitigkeit der Beziehung zwischen Mensch und Natur in eine kritische Schieflage geraten. In den letzten 300 Jahren sind 85% der weltweiten Feuchtgebiete verloren gegangen. Erstaunliche 75% der Umwelt zu Lande und etwa 66% der Meeresgebiete wurden durch menschliche Handlungen erheblich verändert (1.). Die Landwirtschaft bearbeitet aktuell mehr als ein Drittel der globalen Landfläche und verbraucht dabei 75% der Süßwasserressourcen (1.).
Schaut man auf Deutschland sind heute 50,7 % der Fläche in landwirtschaftlicher Nutzung, Wälder und Gehölze nehmen etwa 31%, Siedlungen und Verkehr 14,4%, Gewässer 2,3% und sonstige Flächen 2,8% ein. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche hat von 2004 bis 2019 um 12,8% zugenommen (2.). Und dieser Trend geht ungebremst weiter. In Deutschland werden jeden Tag 56 Hektar für Siedlungs- und Verkehrsprojekte neu ausgewiesen (3). In Leipzig zum Beispiel kann man aufgrund des Baubooms in Folge des Wirtschaftswachstums und des konsekutiven starken Bevölkerungszuwachses in den letzten Jahren einen dramatischen Rückgang von Brach- und Grünflächen beobachten (4). Bis 2040 wird erwartet, dass die Leipziger Bevölkerung um weitere 14% ansteigen wird (5). Damit liegt Leipzig auch im globalen Trend. Für das Jahr 2030 wird prognostiziert, dass 60% ( 2018 55%) der globalen Bevölkerung in Städten leben wird (6). Die Landflucht aber auch die zunehmende Devastierung der Landschaft durch Landwirtschaft, Siedlungsbau und unseren wenig nachhaltigen Lebensstil entrückt uns immer mehr der sogenannten echten bzw. intakten Natur. Diese massiven Veränderungen unserer Umwelt führen zu guter letzt zu einer veränderten und bei vielen Menschen gar fehlenden Verbindung zur Natur. Der britische Journalist, Autor, Umweltschützer und Universitätsdozent George Monbiot propagiert seit einigen Jahren den Begriff „Ecological Boredom“ der im deutschen soviel bedeute wie ökologische Langeweile. Die obere und untere Abbildungen sind sinnbildlich für diesen Begriff. Er beschreibt die Auswirkungen der ausgeräumten Landschaft und der zum Teil immer lebensfeindlicher werdenden Städte auf den Menschen der einst ein Teil im Netzwerk der Natur war. Die negativen Auswirkungen der Flächenversiegelung und Biotopzerstörung auf die Artenvielfalt, den Wasserhaushalt und das Klima liegen auf der Hand und sind in unzähligen Publikationen beschrieben. Die Auswirkungen des Verlustes der biologischen Vielfalt auf die psychische Gesundheit des Menschen sind jedoch noch wenig untersucht. Zu diesem Thema erschien am 25.03.2021 eine interessante Arbeit unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F) und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Die Forscher untersuchten den Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und Biodiversität in Deutschland (7.). Insgesamt wurden die Daten von 30.000 Personen aus 15.000 deutschen Haushalten analysiert. In den Landkreisen mit einer größeren Vielfalt an Pflanzen und Vogelarten zeigten sich weniger psychische Pathologien.
„Wenn also eine Person in einem Kreis mit vielen verschiedenen Pflanzen und Vögeln lebt, dann geht es dieser Person im Durchschnitt mental besser als Menschen in Kreisen mit niedrigerer Artenvielfalt“, sagt Erstautor Joel Methorst (8.).
Weiterhin konnten die Autoren zeigen, dass sich die Nähe zu öffentlichen Parks und Grünflächen auch positiv auf die Gesundheit auswirkt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass man Naturschutz durchaus auch als Maßnahme zur Gesundheitsförderung verstehen kann“, sagt Letztautorin Prof. Katrin Rehdanz von der Universität Kiel. „Vor allem Stadtplanung und Grünflächenämter sollten in Biodiversität investieren, um so die Gesundheit der städtischen Bevölkerung zu fördern.“ (8.).
In Deutschland haben sich psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren zu einer Volkskrankheit entwickelt und sie sind aktuell, nach Erkrankungen des Gelenkapparates, die zweithäufigste Ursache für Fehltage im Beruf und der häufigste Grund für eine Frührente (9.). Laut einer OECD Studie aus dem Jahr 2018 belaufen sich die jährlichen ökonomischen Kosten psychischer Erkrankungen in der EU auf rund 600 Milliarden Euro. Deutschland muss dafür, laut diesem Bericht, 4,8% seines Bruttoinlandsproduktes aufwenden (10.). Natürlich sind die schwindenden Naturräume nicht der einzige Grund für die Zuwachsraten der psychischen Erkrankungen. Jedoch unterstreicht die o.g. Arbeit noch einmal die enorme Wichtigkeit artenreicher Ökosysteme zu deren Ökosystemleistung nun zum Teil auch unsere psychische Gesundheit gehört. Selbst wenn der zunehmende Verlust der biologischen Vielfalt in unserem direkten Umfeld auch nur eine untergeordnete Rolle bei der Entstehung psychischer Erkrankungen spielt sind die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen für unsere Gesellschaft enorm.
Die logische Konsequenz ist ein besserer Schutz der bestehenden Biotope und eine obligate Integration von Biodiversität fördernden Maßnahmen in die Stadt- und Raumplanung.
An akut bedrohten Lebensräumen mangelt es in Leipzig nicht (z.B. Wilhelm Leuschner Platz). Hier sollte ein sensibler Umgang mit dem verblieben Grünflächen die Devise sein. Innerstädtische Rückzugsräume für die Biodiversität und die Erholung der Einwohner/-innen sind ein unbezahlbares Gut und können nicht durch dezentrale Ausgleichspflanzungen ersetzt werden. Durch die zunehmende innere Verdichtung der Metropole werden auch grüne Rückzugsräume im Umland, wie z.B. das Leipziger Neuseenland, für die Einwohner/-innen von Leipzig immer wichtiger. Jedoch gibt es auch hier einen zunehmenden Bebauungsdruck (wie z.B. am Markleeberger, Hainer und Störmthaler See), der die sich wieder etablierende Natur, nach dem Braunkohleabbau, nun zum erneuten Male bedroht.
„Der Mensch muss der Natur ihre Würde zurückgeben, um seine eigene Würde zu bewahren´´(Eckart Löhr 12.05.2019, NZZ)
Es wir Zeit, dass die Politik und Verwaltung die Natur als Standortvorteil, den es zu bewahren und auszubauen gilt, begreift. Eine weitere Bebauung der Uferbereiche der Seen und eine Erschließung bisher unerschlossener Bereiche sollte ein Tabu sein. Die EU Biodiversitätsstrategie hat sich bis 2030 zum Ziel gesteckt 30% der Landmasse unter gesetzlichen Schutz zu stellen (11). In Sachsen machen die Naturschutzgebiete nur 3% der Landesfläche aus. Damit liegt Sachsen deutlich unter dem, ohnehin niedrigen, Bundesdurchschnitt von 6,3% (12.). Eine Unterschutzstellung von großen Gebieten des Leipziger Neuseenlandes würde also nicht nur der Einhaltung der EU Biodiversitätsstrategie dienen sondern auch der psychischen Gesundheit der Bevölkerung.
Quellenangaben:
- Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES)
- Umweltbundesamt: Struktur der Flächennutzung
- NABU Leipzig: Leipzig schrumpft: In der wachsenden Stadt verschwinden die Lebensräume
- Umweltbundesamt: Anhaltender Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke
- Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
- Statistisches Bundesamt: Stadtbevölkerung steigt bis 2030 weltweit um eine Milliarde
- Species richness is positively related to mental health – _A study for Germany
- iDiv: Biodiversität kann sich positiv auf mentale Gesundheit auswirken
- Deutsches Ärzteblatt: Psychische Erkrankungen. Eine Volkskrankheit im Fokus
- Health at a Glance: Europe 2018 STATE OF HEALTH IN THE EU CYCLE
- EU-Biodiversitätsstrategie für 2030
- Bundesamt für Naturschutz: Anzahl und Fläche der Naturschutzgebiete in der AWZ, den einzelnen Bundesländern und Deutschland