Offener Brief zum WOS-Projekt ‚Quo vadis Bürgerbeteiligung – Etablierung nachhaltiger Beteiligungsmodelle in Sachsen 2‘ (2019-2020): Schlussfolgerungen zum Umgang mit Bürgerbeiträgen und Forderung einer Qualitätssicherung in Beteiligungsprozessen
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Köpping,
sehr geehrter WOS-Beirat,
„der Verein UferLeben Störmthaler See e.V. setzt sich im Rahmen einer touristischen Weiterentwicklung des Störmthaler Sees für eine naturnahe Ausgestaltung der touristischen Erschließung ein und sieht sich an dieser Stelle als Förderer eines sinnvollen Dialogs zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern mit dem Ziel, dass vom Wunsch nach Naturnähe geprägte Bürgerinteressen nachhaltig eine Berücksichtigung finden und der typische Charakter der Region erhalten bleibt.“ (Auszug Gründungssatzung Mai 2017).
Gemäß der Vereinsziele verfolgt und begleitet der Verein die Beteiligungsprozesse im näheren Umfeld. Unsere besondere Aufmerksamkeit erlangte nunmehr das Beteiligungsprojekt ‚Quo vadis Bürgerbeteiligung 2 – Etablierung nachhaltiger Beteiligungsmodelle in Sachsen‘ gefördert durch das WOS-Landesprogramm und mit Modellcharakter für ganz Sachsen. Befremdlich stimmen uns die Berichte mehrerer TeilnehmerInnen über die Abläufe des Beteiligungsprojektes, einerseits aus dem Koordinationskreis und andererseits aus dem Kreis der Zukunftswerkstatt. In zwei Offenen Briefen vom 21.08.2020 und 03.02.2021 beschreiben zwei unabhängige Teilnehmer des Koordinationskreises anhand verschiedener ausgewählter Beispiele allgemeine und spezifische Verfehlungen, die in ihrer Vielzahl und Schwere mit etablierten Qualitätskriterien in der Bürgerbeteiligung nicht vereinbar wären. Es wird dabei wiederholt offensichtlich, dass die Entscheidungsfindung in hoheitlicher Willkür gegen die Bürgerperspektive getroffen wird.
Der Dialog in der Koordinationsgruppe erfolgte zuletzt offensichtlich nicht auf Augenhöhe und das Initiativrecht der Bürgervertreter wurde in mehrfacher Hinsicht verwehrt. Letztendlich verdünnte sich der Koordinationskreis derart, dass ein Bürgervertreter mehrmonatig und in einem wichtigen Stadium des Projektes allein gegenüber der Kommunalverwaltung verblieb. Die moderierende Institution versäumte dabei die Ausgewogenheit in der Koordinationsgruppe wiederherzustellen. Der Bürgervertreter erhoffte sich eine externe Einordnung der Limitationen, indem er sich, nach Scheitern des Dialogs mit dem Moderator, an Sie, das Landesprogramm ‚Weltoffenes Sachsen‘, wandte. Dies erschien insofern sinnvoll, da es sich um ein modellhaftes Projekt für ganz Sachsen handelt.
Der betreffende Schriftverkehr liegt dem Vorstand des Vereines UferLeben e.V. vor. Mit Unverständnis und Betroffenheit nehmen wir dabei Ihre pauschalen Antworten vom 12.04.2021 (AZ 63-1172/7/68-2021/59297) sowie 20.05.2021 (AZ 63-1172/7/68-2021/83527) zu Kenntnis. Anstelle einer detaillierten Prüfung der vorgetragenen Limitationen, verweisen Sie auf die ‚Hoheit‘ der moderierenden Institution und der Kommunalverwaltung. Mit dieser Begrifflichkeit verdeutlichen Sie bereits den untergeordneten Stellenwert der Bürgerposition innerhalb dieses Projektes. Diese Position widerspricht wesentlichen Qualitätskriterien der Bürgerbeteiligung: den Dialog auf Augenhöhe zu führen, allen Beteiligten ein Initiativrecht einzuräumen und einiges mehr. Sie als WOS-Programm lassen sich damit nicht auf den notwendigen klärenden Dialog ein, sondern weisen die argumentativ und plausibel unterlegten Kritikpunkte pauschal zurück.
Damit wird in Ihren Antworten deutlich, dass keine beteiligungsspezifischen Qualitätskriterien Beachtung finden bzw. keine unabhängigen Qualitätssicherungsmaßnahmen in sächsischen Bürgerbeteiligungsprozessen vorgesehen sind. Dies ist ebenfalls als ein wesentliches Ergebnis dieses Beteiligungsprojektes ‚Quo vadis …2‘ festzuhalten.
Neben den geschilderten Umständen im Projekt ‚Quo vadis …2‘ liegen uns Erfahrungsberichte von zwei weiteren laufenden Beteiligungsverfahren in der betreffenden Kommune vor, in denen sich eine ähnliche hoheitliche Verfahrensweise abzeichnet. Diese Beteiligungsprozesse fungieren vielmehr als strategische Einbindung der Bevölkerung zur Legitimierung von umstrittenen kommunalen Planungen und zur Entschärfung von Protesten als zur ehrlichen partizipativen Einbindung der Bevölkerung.
Der Verein Uferleben e.V. begrüßt die Bestrebungen der Landesregierung nach einer Verbesserung der Bürgerbeteiligungsprozesse in Sachsen. Daher möchten wir als ein Verein, der Bürgerinteressen vertritt, gern zur Verbesserung beitragen. Die Schlüsselfrage ist, wie Akzeptanz und Evaluation von Qualitätskriterien in sächsischen Bürgerbeteiligungsprozessen verbessert werden können? Betrachtet man bereits erarbeitete Qualitätskriterien (z.B. Netzwerk Bürgerbeteiligung, Bertelsmann-Stiftung) scheint es sinnhaft, diese zu akzeptieren und anzuwenden. In Anbetracht o.g. Erfahrungen scheint es dringend erforderlich, Qualitätskriterien für sächsische Beteiligungsprozesse zu definieren und Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu etablieren. Hier sind wir als Verein UferLeben Störmthaler See e.V. gern bereit unsere Erfahrungen mit einfließen zu lassen.
Wenn wir heute in derartigen Modellprojekten nicht qualitätsvoll arbeiten, die Limitationen nicht klar benennen und Schlüsse daraus ziehen, werden wir über Jahre schlechte Beteiligungsprozesse im sächsischen Strukturwandel mit all ihren Konsequenzen erleben.
Mit freundlichen Grüßen
Dreiskau-Muckern 11.07.2021
Der Vorstand